Bereits als ich die Tür
öffnete, hörte ich den Fernseher im Wohnzimmer brummen. Nach einer kurzen
Schreckensminute fiel mir das Telefonat des heutigen Morgens wieder ein.
Richtig, ich habe einen Mitmieter. Welcher offenbar ein wenig schwer hörig zu
sein schien. Selbst bei geschlossener Stubentür konnte ich so gut wie jedes
Wort verstehen, dass aus der Röhre dröhnte. Auch wenn ich ziemlichen Hunger
hatte, entschied ich mich dazu, erst einmal mein Zeug in mein Zimmer zu bringen.
In aller Ruhe zog ich mich um und schlüpfte in eine ausrangierte Sporthose,
welche einfach viel zu bequem war um sie vollzuschwitzen, anstatt sich in ihr
gemütlich auf die Couch zu fläzen. Mit einem viel zu großen Bandshirt, welches
ich vor Jahren meinem Papa abgeluchst hatte und mega flauschigen, mit
Weihnachtsmannköpfen geschmückten Kuschelsocken machte ich mich auf den Weg in
die Küche. Als ich erfuhr, dass ein junger Mann bei mir einziehen würde, habe
ich nicht wirklich weiter darüber nachgedacht und es nach dem Gespräch im Park
auch gänzlich vergessen. Ich war den ganzen Nachmittag gedankenverloren durch
den Wald gewandert, die anderen Hänge hinauf, wieder hinunter, durch das Dorf,
habe in anderen Cafes gesessen, als es bei meinem ersten Besuch der Fall war
und hatte dabei keinen Gedanken daran verschwendet, dass ich in der Wohnung
nicht allein sein würde. Geschweige denn, dass ich darüber nachgedacht hätte,
dass besagter junger Mann wohl genauso alt sein könnte wie ich, gut aussehend
und mich mit dem schönsten Lächeln überhaupt begrüßen könnte. Doch selbst wenn
ich darüber nachgedacht hätte, wäre meine Reaktion wohl nur ein Lachen gewesen.
Wie hoch ist denn schon die Chance, in einem Dorf wie diesem einem jungen
Menschen über den Weg zu laufen, der dazu auch noch umwerfend sein würde? Wie
sich herausstellte, wäre es ein großer Fehler gewesen, mir nicht zu glauben.
Ich klopfte, man wusste ja nie, was die Menschen so trieben, wenn sie dachten,
sie seien noch eine Weile allein. Bei dem lauten TV hatte er wohl kaum gemerkt,
dass ich angekommen war.
Seine tiefe Stimme rief über den Lärm fragend: "Herein?", als wäre
ich es, die hier einfach so seine Pläne durchkreuzt hätte. Eigentlich hatte ich
nicht vorgehabt, im Urlaub an der Tür zu meinen Räumlichkeiten klopfen zu
müssen.
"Hey...", sagte ich und winkte blöd, als ich hereinkam. Vor mir lag
eben die Person, mit der ich absolut nicht gerechnet hatte. Mister
"Ich-brauch-dringend-ein-Zimmer-egal-ob-da-schon-wer-ist" lag
ausgebreitet auf dem Sofa herum. Offenbar hatte er gleich nach dem Betreten der
Wohnung seinen Platz auf der DDR-Couch besetzt. Nicht einmal seine Sachen hatte
er ins Nebenzimmer gebracht. Eine Jacke auf zwei Rucksäcke drauf geschmissen,
lag sein Zeug in der Ecke. Wie er mich angrinste, die Arme über die Lehnen
ausgebreitet, nicht einmal daran denkend, aufzustehen um mich zu begrüßen, sah
er alles andere als bedürftig oder aufgeregt aus. In seinem lässigen weißen
Shirt und der schwarzen Jeans schien er eher gänzlich entspannt und so, als
würde ihm überhaupt nichts fehlen. Natürlich hatte er die Füße auf dem Tisch
übereinandergeschlagen. Bei seiner Erscheinung war das alles andere als
verwunderlich.
"Hallo!", erwiderte er, hatte aber schon wieder den Blick abgewandt
und startet auf den Fernseher. Da es nicht so schien, als würde da noch mehr
kommen, ging ich in die Küche und dachte, während ich den Wasserkocher
anstellte, über meinen ungebetenen Mitbewohner nach. Er war wirklich alles
andere, als ein dahergelaufener junger Mann vom Dorfe, den Frau typischer Weise
in Arbeitssachen zu Gesicht bekam und sich für nichts als ein paar Videospiele und
eventuelle Feldarbeiten zu interessieren schien, wie ich es bereits kannte.
Nein, er war attraktiv. Genau die Art Mann die sich ein Mädchen in meinem Alter
nur erträumen konnte. Sein Körper war muskulös, das Shirt spannte leicht, wie
ich bei meiner kurzen Bestandsaufnahme gesehen hatte. Aber nicht so sehr, dass
man ihn für einen Poser hätte halten können. Seine Augen waren strahlend blau,
die Augenbrauen natürlich und wohlgeformt, kein bisschen buschig und die Nase
etwas groß, aber sie passte zu dem weichen, geschwungenen Mund. Als er
gelächelt hatte, sah ich seine Grübchen, welche ihn jung machten, die
Bartstoppeln verliehen ihm ihm Gegenzug etwas Erwachsenes, männliches. Er
wirkte selbstbewusst, entspannt, nicht auf den Mund gefallen. Über die Schulter
spähte ich unauffällig zu ihm herüber, als ich die alte Teedose aus dem Schrank
nahm. Den Kopf hatte er schief gelegt, drehte seine Haare am Hinterkopf und sah
konzentriert und interessiert auf den Bildschirm. Ich hatte noch nie zuvor
jemanden gesehen, der mit seinen Haaren spielte, wenn er aufmerksam war. Außer
meinen kleinen Bruder, irgendwie machte dies diesen fremden Kerl für mich
sympatisch, menschlich.
Ich hörte, wie die Werbung einsetzte und er schien aus seiner Starre zu
erwachen: "Sorry, das war gerade einfach nur verdammt spannend
gewesen."
Lässig kam er in die Küche, welche schon für eine Person viel zu eng war, aber
ich dachte nicht daran, Platz zu machen und schnitt weiter fleißig meinen Salat
auf einem Brett, welches ich über die Spüle gelegt hatte. Er kniete sich neben
mir auf den Boden und öffnete den Kühlschrank. Wow, er musste sich wohl doch
schon ein paar Meter bewegt haben, sonst hätte er dort wohl kaum etwas finden
können, was nicht mir gehörte. Mit der Milch in der Hand erhob er sich und
strich dabei meinen Arm.
"Ach man ist das eng hier, tut mir leid!", schimpfte er kurz.
"Oder du machst dich einfach nur zu breit?", er grinste mich an und
nahm sich ein Glas von dem Regal an der Wand.
"Ich schätze eher, du bist hier derjenige, der sich ein wenig zu fett
macht."
Er kniff nur die Augen zusammen, schüttelte den Kopf und ging mit seinem
Proviant zurück in den Wohnbereich um wieder seinen Platz einzunehmen. Besser
gesagt um allen nur möglichen Platz auszufüllen.
"Wo willst du hin?", fragte er, als ich mit meinem Essen in der Hand
wieder in mein Zimmer gehen wollte.
Ich zuckte mit den Schultern: "Wonach sieht es denn deiner Meinung nach
aus?"
"So, als ob du dich einfach verdrücken willst. Iss doch hier und wir
schauen fern. Ich will dich nicht aus deiner Wohnstube vergraulen.", er
klopfte auf den Platz neben sich. Der eigentlich keiner war, da er in der Mitte
des winzigen Zweisitzer saß und somit für mich vielleicht dreißig Zentimeter
übrig blieben.
"Na gut.", sagte ich und nahm auf dem Sessel platz. So saßen wir da
und sahen gemeinsam irgendeine Doku über die Kriegsführung im zweiten
Weltkrieg, welche mich ziemlich ermüdete. Als ich gerade mit dem Essen fertig
war und keine Lust mehr hatte, alten schwarz-weiß Verfilmungen mit Geballer zu
lauschen, war das Ganze auch schon vorbei. Schließlich überredete er mich, doch
mit ihm einen seiner Lieblingsfilme zu sehen, welcher glücklicherweise heute im
Fernsehen lief. Mein Murren darüber und der Einwand, dass er gesagt hatte, er
wolle mich nicht vergraulen, halfen auch nicht ihn zu "Marley und Ich" zu überreden, da er der Meinung war, dass ich diesen ja schon
gesehen hatte und sein Film mir stattdessen einen ganz neuen Horizont
offenbaren würde. Obwohl ich skeptisch war, blieb ich sitzen und verfolgte
zahlreiche muskelbepackte Schauspieler in Uniformen dabei, wie sie das Böse
besiegten und ihm, um ihn zu zitieren "ordentlich Eines auf die Fresse
gaben".
"Wie heißt du überhaupt?", fragte er mich zu Beginn der vierten
Werbeunterbrechung. Das Fernsehen konnte einen absolut nicht damit verschonen,
einem andauernd ganz tolle Produkte vorzustellen. Ich wusste schon, weshalb ich
lieber las oder DVD's schaute. Dabei blieben mir all die hirnlosen Werbespots
vorenthalten, was mir absolut nicht leid tat.
"Valentina, und du?", ich sah ihn an.
Habt einen schönen Sonntag, Lou ♥
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