23 Oktober 2016

Fachwerkhäuser 2

Bereits als ich die Tür öffnete, hörte ich den Fernseher im Wohnzimmer brummen. Nach einer kurzen Schreckensminute fiel mir das Telefonat des heutigen Morgens wieder ein. Richtig, ich habe einen Mitmieter. Welcher offenbar ein wenig schwer hörig zu sein schien. Selbst bei geschlossener Stubentür konnte ich so gut wie jedes Wort verstehen, dass aus der Röhre dröhnte. Auch wenn ich ziemlichen Hunger hatte, entschied ich mich dazu, erst einmal mein Zeug in mein Zimmer zu bringen. In aller Ruhe zog ich mich um und schlüpfte in eine ausrangierte Sporthose, welche einfach viel zu bequem war um sie vollzuschwitzen, anstatt sich in ihr gemütlich auf die Couch zu fläzen. Mit einem viel zu großen Bandshirt, welches ich vor Jahren meinem Papa abgeluchst hatte und mega flauschigen, mit Weihnachtsmannköpfen geschmückten Kuschelsocken machte ich mich auf den Weg in die Küche. Als ich erfuhr, dass ein junger Mann bei mir einziehen würde, habe ich nicht wirklich weiter darüber nachgedacht und es nach dem Gespräch im Park auch gänzlich vergessen. Ich war den ganzen Nachmittag gedankenverloren durch den Wald gewandert, die anderen Hänge hinauf, wieder hinunter, durch das Dorf, habe in anderen Cafes gesessen, als es bei meinem ersten Besuch der Fall war und hatte dabei keinen Gedanken daran verschwendet, dass ich in der Wohnung nicht allein sein würde. Geschweige denn, dass ich darüber nachgedacht hätte, dass besagter junger Mann wohl genauso alt sein könnte wie ich, gut aussehend und mich mit dem schönsten Lächeln überhaupt begrüßen könnte. Doch selbst wenn ich darüber nachgedacht hätte, wäre meine Reaktion wohl nur ein Lachen gewesen. Wie hoch ist denn schon die Chance, in einem Dorf wie diesem einem jungen Menschen über den Weg zu laufen, der dazu auch noch umwerfend sein würde? Wie sich herausstellte, wäre es ein großer Fehler gewesen, mir nicht zu glauben. Ich klopfte, man wusste ja nie, was die Menschen so trieben, wenn sie dachten, sie seien noch eine Weile allein. Bei dem lauten TV hatte er wohl kaum gemerkt, dass ich angekommen war.
Seine tiefe Stimme rief über den Lärm fragend: "Herein?", als wäre ich es, die hier einfach so seine Pläne durchkreuzt hätte. Eigentlich hatte ich nicht vorgehabt, im Urlaub an der Tür zu meinen Räumlichkeiten klopfen zu müssen.
"Hey...", sagte ich und winkte blöd, als ich hereinkam. Vor mir lag eben die Person, mit der ich absolut nicht gerechnet hatte. Mister "Ich-brauch-dringend-ein-Zimmer-egal-ob-da-schon-wer-ist" lag ausgebreitet auf dem Sofa herum. Offenbar hatte er gleich nach dem Betreten der Wohnung seinen Platz auf der DDR-Couch besetzt. Nicht einmal seine Sachen hatte er ins Nebenzimmer gebracht. Eine Jacke auf zwei Rucksäcke drauf geschmissen, lag sein Zeug in der Ecke. Wie er mich angrinste, die Arme über die Lehnen ausgebreitet, nicht einmal daran denkend, aufzustehen um mich zu begrüßen, sah er alles andere als bedürftig oder aufgeregt aus. In seinem lässigen weißen Shirt und der schwarzen Jeans schien er eher gänzlich entspannt und so, als würde ihm überhaupt nichts fehlen. Natürlich hatte er die Füße auf dem Tisch übereinandergeschlagen. Bei seiner Erscheinung war das alles andere als verwunderlich.
"Hallo!", erwiderte er, hatte aber schon wieder den Blick abgewandt und startet auf den Fernseher. Da es nicht so schien, als würde da noch mehr kommen, ging ich in die Küche und dachte, während ich den Wasserkocher anstellte, über meinen ungebetenen Mitbewohner nach. Er war wirklich alles andere, als ein dahergelaufener junger Mann vom Dorfe, den Frau typischer Weise in Arbeitssachen zu Gesicht bekam und sich für nichts als ein paar Videospiele und eventuelle Feldarbeiten zu interessieren schien, wie ich es bereits kannte. Nein, er war attraktiv. Genau die Art Mann die sich ein Mädchen in meinem Alter nur erträumen konnte. Sein Körper war muskulös, das Shirt spannte leicht, wie ich bei meiner kurzen Bestandsaufnahme gesehen hatte. Aber nicht so sehr, dass man ihn für einen Poser hätte halten können. Seine Augen waren strahlend blau, die Augenbrauen natürlich und wohlgeformt, kein bisschen buschig und die Nase etwas groß, aber sie passte zu dem weichen, geschwungenen Mund. Als er gelächelt hatte, sah ich seine Grübchen, welche ihn jung machten, die Bartstoppeln verliehen ihm ihm Gegenzug etwas Erwachsenes, männliches. Er wirkte selbstbewusst, entspannt, nicht auf den Mund gefallen. Über die Schulter spähte ich unauffällig zu ihm herüber, als ich die alte Teedose aus dem Schrank nahm. Den Kopf hatte er schief gelegt, drehte seine Haare am Hinterkopf und sah konzentriert und interessiert auf den Bildschirm. Ich hatte noch nie zuvor jemanden gesehen, der mit seinen Haaren spielte, wenn er aufmerksam war. Außer meinen kleinen Bruder, irgendwie machte dies diesen fremden Kerl für mich sympatisch, menschlich.
Ich hörte, wie die Werbung einsetzte und er schien aus seiner Starre zu erwachen: "Sorry, das war gerade einfach nur verdammt spannend gewesen."
Lässig kam er in die Küche, welche schon für eine Person viel zu eng war, aber ich dachte nicht daran, Platz zu machen und schnitt weiter fleißig meinen Salat auf einem Brett, welches ich über die Spüle gelegt hatte. Er kniete sich neben mir auf den Boden und öffnete den Kühlschrank. Wow, er musste sich wohl doch schon ein paar Meter bewegt haben, sonst hätte er dort wohl kaum etwas finden können, was nicht mir gehörte. Mit der Milch in der Hand erhob er sich und strich dabei meinen Arm.
"Ach man ist das eng hier, tut mir leid!", schimpfte er kurz. "Oder du machst dich einfach nur zu breit?", er grinste mich an und nahm sich ein Glas von dem Regal an der Wand.
"Ich schätze eher, du bist hier derjenige, der sich ein wenig zu fett macht."
Er kniff nur die Augen zusammen, schüttelte den Kopf und ging mit seinem Proviant zurück in den Wohnbereich um wieder seinen Platz einzunehmen. Besser gesagt um allen nur möglichen Platz auszufüllen.
"Wo willst du hin?", fragte er, als ich mit meinem Essen in der Hand wieder in mein Zimmer gehen wollte.
Ich zuckte mit den Schultern: "Wonach sieht es denn deiner Meinung nach aus?"
"So, als ob du dich einfach verdrücken willst. Iss doch hier und wir schauen fern. Ich will dich nicht aus deiner Wohnstube vergraulen.", er klopfte auf den Platz neben sich. Der eigentlich keiner war, da er in der Mitte des winzigen Zweisitzer saß und somit für mich vielleicht dreißig Zentimeter übrig blieben.
"Na gut.", sagte ich und nahm auf dem Sessel platz. So saßen wir da und sahen gemeinsam irgendeine Doku über die Kriegsführung im zweiten Weltkrieg, welche mich ziemlich ermüdete. Als ich gerade mit dem Essen fertig war und keine Lust mehr hatte, alten schwarz-weiß Verfilmungen mit Geballer zu lauschen, war das Ganze auch schon vorbei. Schließlich überredete er mich, doch mit ihm einen seiner Lieblingsfilme zu sehen, welcher glücklicherweise heute im Fernsehen lief. Mein Murren darüber und der Einwand, dass er gesagt hatte, er wolle mich nicht vergraulen, halfen auch nicht ihn zu "Marley und Ich" zu überreden, da er der Meinung war, dass ich diesen ja schon gesehen hatte und sein Film mir stattdessen einen ganz neuen Horizont offenbaren würde. Obwohl ich skeptisch war, blieb ich sitzen und verfolgte zahlreiche muskelbepackte Schauspieler in Uniformen dabei, wie sie das Böse besiegten und ihm, um ihn zu zitieren "ordentlich Eines auf die Fresse gaben".
"Wie heißt du überhaupt?", fragte er mich zu Beginn der vierten Werbeunterbrechung. Das Fernsehen konnte einen absolut nicht damit verschonen, einem andauernd ganz tolle Produkte vorzustellen. Ich wusste schon, weshalb ich lieber las oder DVD's schaute. Dabei blieben mir all die hirnlosen Werbespots vorenthalten, was mir absolut nicht leid tat.
"Valentina, und du?", ich sah ihn an. 



Habt einen schönen Sonntag, Lou ♥

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen